Mit Voltaire in Frankreich

Als Anfang September am Philipp-Matthäus-Hahn-Gymnasium der Unterricht für die Klasse 10b beginnt, ist Hannah Schürg nicht dabei. Sie verbringt die ersten 6 Monate dieses Schuljahres mit ihrer französischen Austauschpartnerin Alice und besucht das Lycée Bellevue in Le Mans. Eine große Chance und gleichzeitig ein spannendes Abenteuer für beide Schülerinnen, die sich entschlossen haben, am Voltaire-Programm des Deutsch-Französischen Jugendwerkes (DFJW) teilzunehmen.

Im Gegensatz zu klassischen Austauschprogrammen, bei denen eine größere Schülergruppe ein oder zwei Wochen im Ausland verbringt und für die gleiche Dauer Schülerinnen und Schüler der Partnerschule bei sich aufnimmt, erstreckt sich das Voltaire-Programm über ein ganzes Jahr im Rahmen eines individuellen Austausches. Die Entscheidung, an solch einem Programm teilzunehmen, muss wohlüberlegt sein und erfordert ein beträchtliches Engagement aller am Austausch Beteiligten. Vor allem die Schülerinnen und Schüler, aber auch deren Eltern und betreuenden Lehrer tragen gemeinsam zum Gelingen bei. Eine behutsame Anfangsphase des Kennenlernens, das Ankommen an einer neuen Schule, die Bereitschaft, Neues zu wagen, sowie eine kontinuierliche Begleitung des Austausches sind wichtige Eckpfeiler.

 

Als Alice im März 2018 bei ihrer deutschen Gastfamilie ankommt, beschreibt sie sich selbst als ängstlich und verunsichert. Gedanken wie "Warum habe ich mich überhaupt auf dieses Abenteuer eingelassen?" schießen ihr durch den Kopf. Jedoch auch Hannah geht nicht völlig unbeschwert in den Austausch und fragt sich, wie man mit einem Menschen, den man erst einmal nur per Briefkontakt kennengelernt hat, ein ganzes Jahr verbringen und obendrein noch ein Zimmer teilen soll.

Ein Paradebeispiel für das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen stellt die erste Begegnung der beiden Mädchen dar. Als sie sich gegenüberstehen, will Alice Hannah mit dem französischen Wangenkuss begrüßen und Hannah will Alice umarmen. Mag man im modernen Französischunterricht das interkulturelle Lernen immer mehr in den Fokus rücken, so zeigt sich doch daran, dass vor allem der direkte Kontakt die beste Schule für das Erleben der anderen Kultur darstellt. Der Voltaire-Austausch ermöglicht dieses Eintauchen in die Kultur und die Sprache des Anderen, setzt aber wiederum gute Sprachkenntnisse voraus, damit diese Begegnung auch gewinnbringend ist. Daher ist es in den folgenden Wochen wichtig, dass konsequent in der Sprache des Gastlandes kommuniziert wird, was Engagement und Mut erfordert. Allzu leicht wählen die Schülerinnen selbst als auch ihre Mitschüler das Englische, um sich im alltäglichen Leben zu verständigen. Doch genau darin besteht die Aufgabe aller Beteiligten, dass die Sprache des Gastlandes durchgehend angewendet wird, auch wenn möglicherweise der vermeintlich leichtere Weg über das Englische naheliegender erscheint. Alice gibt selbst zu, dass sie anfangs immer noch große Hemmungen hat, deutsch zu sprechen, was natürlich verständlich ist. Wer kennt nicht die Situation, dass man im Fremdsprachenunterricht durchaus Erfolge erzielt, jedoch im Ausland selbst angesichts der "vielen Muttersprachler" keinen Ton mehr herausbringt oder zumindest nur zaghafte Äußerungen von sich gibt aus Angst, einen Fehler zu machen. Aus diesem Zusammenhang heraus ist es umso wichtiger, dass das Voltaire-Programm einen Auslandsaufenthalt von 6 Monaten vorsieht, damit eine Entwicklung auf sprachlichem Gebiet möglich ist.

Neben der sprachlichen und interkulturellen Aspekte des Austausches darf man aber auch nicht außer Acht lassen, dass ein derartig intensives Programm entscheidend zur Persönlichkeitsentwicklung und Horizonterweiterung beiträgt. Hannah und Alice entwickeln eine ehrliche Freundschaft, die über die Grenzen hinweg in diesem Alter nur schwer anders zu gewinnen ist. Beide bezeichnen sich gegenseitig sogar eher als Schwestern, da sie so viel miteinander teilen und den Alltag dicht aufeinander verbringen. Obendrein schließt Alice auch Freundschaften außerhalb der Gastfamilie und ist am Ende ihres Aufenthaltes bestens integriert. Wie wertvoll diese Freundschaften - auch über die Landesgrenzen hinweg - sind, formulierte schon der Namensgeber des Programms, der französische Philosoph Voltaire: "Toutes les grandeurs de ce monde ne valent pas un bon ami". (Ein guter Freund ist mehr wert als aller Ruhm dieser Welt).

Derzeit befindet sich Hannah in der Situation der Gastschülerin, die sich im Vorfeld natürlich viele Gedanken über ihre Zeit in Frankreich gemacht hat. Wir sind gespannt, was sie uns zu berichten hat, wenn sie wieder ihren Platz in der Klasse 10b einnehmen wird. Im Gepäck einen Koffer voller sprachlicher Schätze, persönlicher Erfahrungen und interessanter Eindrücke.

Daniela-Alexandra Singer